Die Autoindustrie im Umbruch: Sind die goldenen Zeiten schon wieder vorbei?
Die letzten fünf bis sieben Jahre werden, im Hinblick auf Wachstum und Rentabilität, wohl schon bald als „Goldene Zeit“ für die globale Automobilindustrie in unserer Erinnerung verblassen. Der Moment als die Industrie 2008/2009 dem Tod ins Auge sah, stellte sich als eine fantastische Early-Cycle-Kaufgelegenheit für Investoren heraus. In der Finanzkrise waren Orderbücher über Nacht kollabiert und es wurde an der Solvenz von Automobilherstellern („OEMs“) und -Zulieferern gezweifelt. Wenig später boomte die Automobilindustrie wieder und zwar auf ungekannte Höhen. Dafür ist vor allem den Märkten in China und den USA sowie der dortigen Industriepolitik zu danken. Es gibt allerdings Anzeichen, dass der Hochpunkt dieser Goldenen Zeiten bereits hinter uns liegt.
China beschert der Automobilindustrie Goldene Zeiten…
Getrieben wurde dieser Boom der letzten Jahre vor allem von China mit seiner wunderbaren Kombination von hohen Preisen (1,5-2 mal höher für Neuwagen als etwa in Europa), einem Premium-Modellmix (High-End und Luxus-Autos) und einem hohen, steigenden Volumen (aufgrund der Stadt-und Verkehrsinfrarstrukturentwicklung sowie einer allgemein steigenden Kaufkraft). Wir erinnern uns, dass die chinesische Regierung sich damals mit einem massiven Stimulierung programm gegen die Krise stemmte. In Europa profitierten deutsche Automobilhersteller. Sie hatten in China Margen von teilweise über 20% erreicht – weit über der globalen Norm von mittleren bis niedrigen einstelligen Margen im mittleren Zyklus.
…mit der Hilfe der USA
Der zweite Schlüsselfaktor für diesen Boom der letzten Jahre waren die USA. Der Anfang dieses Trends ist wiederum in der Finanzkrise zu finden. In den Jahren 2008-2009 musste die US-Regierung die großen US-Hersteller GM und Chrysler vor dem Bankrott retten. Das Konzept dieses staatlichen Eingreifens – damals durchaus umstritten – hat sich als hochwirksam herausgestellt: Überkapazitäten wurden beseitigt und die Industrie wurde in die Lage versetzt, Kosten und damit Preise zu senken. Die Absatzvolumen erholten sich und sind heute auf einem historischen Höchststand.
Die folgende Graphik zeigt den Autoabsatz in den USA in Stückzahlen von 2005 bis 2016:
Der brutale Rückgang von über 16 Millionen Autos auf unter 10 Millionen während der Finanzkrise und der darauffolgende stetige Anstieg sind klar zu erkennen.
…und was ist mit Europa?
Wie in anderen Branchen auch, wurden in Europa – im Gegensatz zu den USA – die Überkapazitäten in der Krise nicht adressiert. Staatshilfen und Kündigungsschutz zielten eher darauf ab, den Status Quo zu erhalten. Darüber hinaus ist der Fahrzeugmix nach wie vor von Kleinwagen geprägt und das Volumenwachstum fiel nach der Finanzkrise lange nicht so hoch aus wie z.B. in den USA. So blieben die Deckungsbeiträge, selbst zum Höhepunkt des Zyklus, düster. Für luxuriöse deutsche Automobilhersteller birgt der VW-Emissionsskandal 2016 eine zusätzliche komplexe und sicherlich kostspielige Bedrohung der Rentabilität.
Der charismatische Fiat CEO Sergio Marchionne hat vor diesem Hintergrund vermehrt argumentiert, dass niedrige Renditen auf eine fragmentierte Industrie hinweisen, die eine Konsolidierung benötigt. Größe und Automatisierung sind nun angesagt – ein kapitalintensives Geschäft. Bisher ist, zum Missfallen der Aktionäre auf beiden Seiten des Atlantiks, niemand seinem Ruf gefolgt. Doch wie lange können sich die Manager dem Druck entziehen? Vielleicht bedarf es einer Krise als Katalysator.
Die Goldenen Zeiten verblassen…
….in China sind seit Ende 2015 und 2016 fallende Margen zu beobachten. Unter anderem fordert die chinesische Regierung verstärkt eine Beteiligung an den Gewinnen ein (neue regulative Hürden, Investment Sharing Agreements etc.).
…in den USA sind die Absatzvolumen bereits auf dem Höchststand, die Autofinanzierung sind bis an die Grenzen des Vertretbaren gedrückt worden (was Voraussetzung und Anzahlung sowie Zinssatz angeht), Kaufanreize wurden mehr und mehr ausgebaut und neue Produktionskapazitäten sind entstanden (u.a. in den USA, Mexiko und China). Darüber hinaus gibt es frühe Anzeichen einer sich verschlechternden Preisgestaltungsmacht der Automobilhersteller, gepaart mit wahrscheinlich höheren Zinsen für Kauffinanzierungen und das wachsende Volumen der geleasten Autos (siehe Grafik unten: US Auto-Darlehen in Mrd. US-Dollar). Die extrem niedrigen Ölpreise im Jahr 2016 gaben, aufgrund des billigen Benzins, eine zusätzliche Unterstützung für Auto-Verkäufe (nicht zuletzt für SUVs). Doch die Ölpreise sind aktuell wieder auf einem normaler scheinenden Niveau von etwa 50 US-Dollar.
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung des Leasing-Volumens in den USA in Mrd. US-Dollar von 2006 bis 2016:
Das Volumen ist seit der Ende 2009 von ca. 20 Milliarden US-Dollar auf fast 32 Milliarden gestiegen.
Chinesische und US-Gewinne scheinen also den Hochpunkt bereits hinter sich zu haben. Nach einer Phase der Expansion bei gleichzeitig hohen Margen („Goldene Zeiten“), sehen wir hohe Lagerbestände, hohe Kapazitäten, Preiskämpfe, Regulierungsherausforderungen, sinkende Margen etc. Aus heutiger Sicht ist es schwer zu prognostizieren, was diesen aktuellen Trend stoppen kann. Auch Trumponomics wird es voraussichtlich schwer haben, etwas entgegenzustellen. Dazu haben sich die Bedingungen in nahezu allen weiteren Emerging Markets – viele von ihnen zuvor gut profitabel – verschlechtert.
Große Herausforderungen stehen bevor…
Neben dem zukünftig wohl recht geringen Volumenwachstum steht die Branche vor zahlreichen weiteren Herausforderungen: Emissionsstandards, Konnektivität, autonome Fahrzeuge und sogar neuen Industrieeinsteigern. Es wird also teurer und komplexer – sowohl technologisch als auch strategisch. Das bedeutet, dass es für Automobilhersteller und Investoren viel schwieriger wird, Geld zu verdienen. Die meisten dieser Herausforderungen sind nicht vollkommen neu – doch konnten sie in den Goldenen Zeiten noch einmal in den Hintergrund gerückt werden.
Dass gerade Neulinge in einer so etablierten Industrie, etwa im Bereich Elektroantrieb, autonomes Fahren, Navigationssysteme oder neue Mobilitätskonzepte (Uber, Lyft, Didi, Car Sharing etc.), den Takt angeben, ist bezeichnend. So zwingt beispielsweise Teslas unglaublicher Erfolg mit seinen Elektroautos, etablierte Luxus-Automobilhersteller zu mehr Forschung und Entwicklung, um wettbewerbsfähig zu bleiben (das bedeutet sinkende Margen). Das eröffnet wiederum technologische und regulatorische Herausforderungen, die sicherlich die Kosten für die Automobilhersteller noch einmal erhöhen und den Wettbewerb intensivieren werden. Ein entsprechendes grundsätzliches Umdenken der Automobilhersteller ist unerlässlich.
Wie investieren wir in Automotive?
Wir haben im Zyklus der letzten 10 Jahre auf verschiedene Weise und in verschiedener Intensität in die Automobilbranche investieren. Im Rahmen unseres flexiblen Makro-Ansatzes suchen wir immer nach den besten Rendite-/Risiko-Optionen im Zyklus. Im Jahr 2009 haben wir etwa in Unternehmensanleihen von Automobilherstellern investiert. Mercedes musste beispielsweise für eine im Frühjahr 2009 aufgelegte Anleihe mit einer Laufzeit von 3 Jahren einen Kupon von sage und schreibe 7,75% bieten (ca. 6,5% über 3-Monats-Euribor). Später haben wir dann verstärkt in Automobilaktien als zyklische Investments investiert. Taktisch haben wir Automobilaktien, etwa nach dem Brexit-Referendum, recht erfolgreich antizyklisch im Rahmen von „Buying the Dips“ genutzt.
Ausblick
Es gibt nach unserer Einschätzung aktuell sehr wenige Automobilhersteller, die in naher Zukunft Geld in angemessenem Ausmaß für Investoren verdienen können. Neue Konzepte/Unternehmen, wie Telsa, Uber etc. haben für Makro-Investoren, wie uns, dagegen zurzeit noch zu sehr einen Venture-Charakter. Dazu sind sie meist (noch) nicht börsengelistet. Die Umbrüche in der Industrie beobachten wir aber recht genau.
Abgesehen von wenigen Ausnahmen, empfehlen wir also eine eher vorsichtige Haltung auf dem Sektor. Aktien von Automobilherstellern sehen, im Vergleich zu anderen Branchen, zwar ziemlich billig aus, wenn man sich Kursgewinnverhältnis anschaut. Doch ist das auch der Fall, da die Erträge der Automobilhersteller den Hochpunkt in diesem Zyklus hinter sich zu haben scheinen – das bedeutet, der Markt nimmt an und dass der Nenner des Kurs/Gewinn-Verhältnisses sinken wird.
Das Kaufen von Automobil-Aktien scheint – mit Blick auf die Kombination von spätem Zyklus und steigenden Zinssatz – aktuell gefährlicher als noch vor ein paar Jahren – vor allem in den USA. Eine positive Ausnahme findet sich vielleicht noch bei Luxus-Automobilhersteller in Europa.
„You know, the problem this industry faces with its low rating is access to capital. We’re not very good at making a return on capital. We’re also not as good as we would like to be at raising capital.“
(frei übersetzt in etwa: „Das Problem, das diese Branche mit ihrem niedrigen Rating hat, ist der Zugang zu Kapital. Wir sind nicht sehr gut darin, eine angemessene Kapitalrendite zu erzielen. Wir sind auch nicht so gut darin, Kapital zu beschaffen.“)
Sergio Marchionne – CEO of Fiat Chrysler Automobiles and FCA Italy S.p.
Autorin: Laura Prina Cerai, CFA
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