CONREN-Kolumne: Investoren unterschätzen die Gefahren bei Unternehmensanleihen

Viele Anleger suchen angesichts der Rekordstände an den Börsen nach anderen Renditequellen – und werden bei Unternehmensanleihen fündig, die ihnen auskömmliche Erträge bei vermeintlich überschaubaren Risiken zu bieten scheinen. Nicht wenigen dieser „Rendite-Touristen“ mangelt es jedoch an der nötigen Expertise, um die Wagnisse ihrer Corporate-Bond-Investments korrekt beurteilen zu können. Dabei sind diese sind gerade jetzt erheblich.

Insbesondere in den USA treibt die Schuldenorgie im Unternehmenssektor gefährliche Blüten. Nicht nur haben die Gesamtschulden von Corporate America mit 9,76 Billionen US-Dollar einen neuen Gipfel erreicht, auch der Verschuldungsgrad erreicht gemessen am US-Bruttoinlandsprodukt mit 46,8 Prozent Rekordwerte. Seit Mitte der 1980er-Jahre lag die gesamtwirtschaftliche Schuldenquote erst vier Mal auf dem jetzigen Niveau von über 40 Prozent. Jeder dieser Kreditzyklen wurde durch eine Rezession jäh beendet. Doch da die Schulden bislang stets pünktlich bedient wurden, herrscht auf Investorenseite eine gefährliche Gelassenheit.

Auch betriebswirtschaftlich betrachtet gibt die Höhe der Firmenverbindlichkeiten Anlass zur Sorge: Die Verschuldung von US-Unternehmen im Investment-Grade-Bereich übersteigt ihren operativen Gewinn (EBITDA) um gut das Zweifache. Klingt nach wenig, doch die Niedrigstzinsen haben dazu geführt, dass Unternehmen ständig mehr Schulden auf sich laden. Daten von Deloitte zufolge nutzten US-Unternehmen (exklusive des Finanzsektors) die günstigen Marktbedingungen, um von 2011 bis 2018 ihre Anleihen-Emissionen um nicht weniger als 6,3 Prozent pro Quartal zu steigern. Ob damit stets geschäftsstrategisch sinnstiftende Projekte finanziert werden, muss nicht zuletzt angesichts des enormen Ausmaßes von Aktienrückkäufen in den USA in Zweifel gezogen werden. Ähnlich ungesunde Entwicklungen sind im Übrigen auch in Europa zu beobachten, wo Anleihe-Emissionen zuletzt verstärkt dazu genutzt werden, um höhere Dividenden auszubezahlen.

Zudem haben die Niedrigstzinsen dazu geführt, dass die Zinslasten für Unternehmen erheblich sinken und die Zinsdeckungsgrade – also die Relationen von operativem Ergebnis zum Zinsaufwand – zu rosig erscheinen. Zudem blähen die sinkenden Zinslasten zugleich die Unternehmensgewinne nicht unerheblich auf. Damit sind die unter ihrer Zuhilfenahme errechneten Verschuldungsgrade ebenfalls mit einer gehörigen Portion Vorsicht zu genießen.

Und noch ein weiterer Umstand, den viele Anleihe-Investoren geflissentlich übersehen, birgt enorme Sprengkräfte in sich: Die schleichende Aushöhlung der in den Anleihebedingungen festgelegten Gläubigerschutzrechte. Regulatoren stellen ebenso wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel fest, dass die Standards in Bezug auf diese Sicherheiten (Covenants) zunehmend verwässert werden. Zum Zwecke des Gläubigerschutzes werden in den Anleihebedingungen beispielsweise Limits hinsichtlich der Mittelverwendung für Dividendenzahlungen festgezurrt. Ein weiteres typisches Beispiel sind „Change of Control“-Covenants, nach denen die Anleihen vom Emittenten zurückgekauft werden müssen (oft mit einem Preisaufschlag), sollte dieser übernommen werden. Insbesondere diese „Change of Control“ Covenants wurden in den Anleiheprospekten in den letzten Jahren immer weiter abgeschwächt. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Weil Covenants das Resultat von Verhandlungen zwischen Schuldnern und Gläubigern sind, werden diese natürlicherweise immer dann schwächer, wenn Schuldner einen höheren Verhandlungsspielraum haben – sprich: der Nachfrageüberhang steigt. Genau dies geschieht: Die üppige Liquiditätsversorgung durch die Zentralbanken und der damit entstehende Anlagedruck haben dem Markt eine unnatürlich hohe Nachfrage nach Anleihen beschert, vor allem in Europa.

Sollte die momentane gesamtwirtschaftliche Traumkonstellation aus vergleichsweise niedriger Teuerung, welche die Niedrigstzinsen überhaupt erst ermöglicht, und einem moderaten Konjunkturplus – gerne auch als „Goldilocks-Umfeld“ bezeichnet – abrupt enden, hätte das dramatische Folgen: Höhere Lohnkosten würden die Ertragsmargen der Unternehmen schmälern und gleichzeitig die Inflation befeuern, was steigende Zinsen nach sich zöge, die dann über höhere Zinslasten erneut auf die Gewinnspannen der Firmen drücken und schlussendlich das Wirtschaftswachstum abwürgen. Angesichts des ständig steigenden Verschuldungsgrads bei Unternehmen darf man dieses Szenario unserer Ansicht nach nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Auch wenn wir momentan von einem gleichbleibenden Zinsniveau ausgehen, sind Unternehmen auf höhere Erträge und Cash Flows angewiesen, um das ausufernde Schuldenvolumen bedienen zu können. Negative Überraschungen wären geradezu fatal. Viel Leverage – also viel Hebel durch Fremdfinanzierung von Unternehmen – war in der Vergangenheit des Öfteren Auslöser großer Krisen und gilt damit als ein wichtiger Frühindikator für Rezessionen und für deren potenzielle Heftigkeit. Darum sind viele Investoren – darunter auch wir – in den letzten Jahren in Bezug auf Kreditrisiken vorsichtiger geworden. Unterm Strich sind wir der Ansicht, dass die historische Phase von Niedrigstzinsen viele Gefahren kaschiert. Das kann noch eine Weile gut gehen – aber eben nicht ewig.


Aktueller Verschuldungsgrad (Total Debt/EBITDA) nach Sektoren (orange) vs Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre (weiß)

Quelle: Bloomberg

Die größten Neuemissionen des bisherigen Jahres:



Quelle: CONREN Research, Bloomberg

In den USA hat die Verschuldung von Unternehmen neue Rekordhöhen erreicht; hier zu sehen an „US non-financial Corporate Debt“, absolut und in % vom BIP:


Autor: CONREN/Altrafin Team
Bildnachweis: freshideas

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