CONREN-Kolumne: Plädoyer für bewusstes und aktives Investieren

Die Diskussion „passives versus aktives Investieren“ wird aktuell hart und öffentlichkeitswirksam geführt. Dabei haben beide Seiten stichhaltige Argumente – aber auch erhebliche Eigeninteressen.

Was ist besser: Aktives oder passives Investieren? Kaum ein Thema wird in der Finanzbranche leidenschaftlicher diskutiert als diese Frage. Mal abgesehen davon, dass es für beide Ansätze gute Argumente und generell nicht den einen richtigen Weg, sondern viele gibt: In der Debatte werden häufig Äpfel mit Birnen verglichen und Statistiken zweckgebunden erstellt.

Es beginnt schon damit, dass ETFs oft als passiv und alle anderen Fonds als aktiv dargestellt werden. In der Rückschau scheint sich passives Investieren damit im Vergleich eher zu rechnen. Allgemein akzeptiert wird dabei, dass Indizes „den Markt“ darstellen und alle aktiven Manager Indizes als Maßstab nutzen, um ihr Können und ihre Leistung zu dokumentieren. Das aber ist zu simpel. Dazu verändert der kometenhafte Aufstieg von ETFs merklich die Verhaltensweise von Märkten. Vergangenheitsdaten sind also mit Vorsicht zu genießen.

Fakt ist zum einen, dass die meisten Fonds sehr nahe an einer Benchmark gemanaged werden und wirklich aktive Investoren rar sind – was nicht zuletzt an den Anreizsystemen der Branche liegt, die es nicht eben leicht machen, unabhängig zu denken und zu handeln. Zum anderen wird, indem man Fonds mit Indizes vergleicht und aus dem vermeintlichen enttäuschenden Ergebnis eine ETF-Überlegenheit ableitet, unterschlagen, dass auch ETFs Kosten haben. Hinzu kommt, dass es rein passives Investieren nicht gibt. Im Hintergrund müssen stets aktive Entscheidungen getroffen werden – sei es vom Investor oder den Indexgesellschaften, die darüber befinden, wer in den Index aufgenommen und wie dieser berechnet wird. Und neben der Performance wären auch die Liquidität der Investments sowie das eingegangene Risiko zu berücksichtigen. Letzteres wird bei gängigen Aktiv-/Passiv-Vergleichen gerne ausgeblendet. Doch das nur nebenbei.

Viel schwerer wiegt etwas Anderes: Die Debatte um die vermeintlichen ETF-Vorteile folgt einem Schema, das wir von vielen Investmentmoden der letzten Jahrzehnten her nur allzu gut kennen. Ob Hedgefonds, ABS-Produkte oder Protect-Zertifikate – sie alle haben dreierlei gemeinsam:

  1. Ihre Ideen sind vom Grundsatz her gut.
  2. Sie werden mit der (manchmal berechtigten) Kritik gegenüber anderen etablierten Lösungen vermarktet.
  3. Sie entwickeln ab gewissen Volumina eine Eigendynamik, welche die Produkte für den Finanzmarkt selbst und einzelne Anleger gefährlich macht.

Alle drei Punkte gelten für die zunehmend populären ETFs. Passives Anlegen scheint vielen Anlegern wie der rettende Strohhalm in einer immer komplexeren Investmentwelt mit unübersichtlichen Angeboten, unverständlichen Strategiebeschreibungen und von Rechtsabteilungen verfassten, seitenlangen Prospekten. Spätestens der nächste Crash dürfte vielen ETF-Fans jedoch die Augen öffnen.

Finanzmärkte sind dazu da, Kapital effizient zu allokieren. Ein Markt, der zu 100 Prozent aus passiven Anlegern besteht, kann das nicht leisten. Dazu braucht es aktive Investoren für die Analyse, die Auswahl und die aktive Kontrolle von Unternehmen. Passive Investoren sind also Trittbrettfahrer – was an sich nicht verwerflich ist. Gefährlich wird es, wenn alle die gleichen oder sehr ähnlichen Depotstrukturen besitzen. Denn das erhöht die Korrelation zwischen den Portfolios aller Investoren – ein Umstand, der sowohl während der globalen Finanzkrise 2008 als auch zuzeiten der Verschuldungskrise in Europa 2011 zu beobachten war: Gängige Finanzmarktheorien wie die moderne Portfoliotheorie wurden ad absurdum geführt, Volatilitäten erreichten über sämtliche Vermögensklassen ein Mehrfaches dessen, was hätte gelten sollen. Nicht nur das Risiko explodierte, auch die Korrelationen der einzelnen Anlageklassen kollabierten.

Weil Kapitalmärkte auf Basis ausschließlich passiver Veranlagung also nicht funktionieren können, muss es einen Punkt geben, an dem passives Investieren scheitert – respektive, an dem aktives Investment massive Vorteile hat. Wann dieser Punkt erreicht ist, ist schwer zu sagen. Fest steht jedoch: Wer passiv anlegt ist – vielleicht unbewusst – davon überzeugt, dass Märkte langfristig immer steigen.

Für Investoren kann wirklich passives Investieren Sinn machen, also z.B. 50% Aktienindex MSCI World und 50% in einen globalen Rentenindex ohne Markttiming. Doch die meisten Anleger ertragen es nicht, bei Marktschwächen investiert zu bleiben oder im Rebalancing die Aktienquote antizyklisch hochzufahren. Schlimmer noch: Statistiken zeigen, dass ETFs zum unnötigen Handeln verführen. Für den Kauf oder Verkauf der passiven Papiere braucht es nur einen Klick auf dem Smartphone. Häufiges Umschichten ist generell keine gute Idee; bei der nächsten Korrektur aber könnten ETFs eine Verkaufswelle lostreten – und diese Korrektur scheint nicht mehr weit entfernt.

Nach fast 100 Monaten Bullenmarkt bei Aktien sowie über 400 Monaten Bullenmarkt bei Anleihen befinden wir uns in einer späten Phase des Aufwärtstrends. Der Markt hat gelernt, dass belohnt wird, wer long geht – eine „perfekte Welle“ für passives Investieren! Vergessen wird, dass Märkte sich nicht rational verhalten und nicht informationseffizient sind. Sie werden von Menschen und deren Gefühlen geprägt, und der Aufstieg der ETFs verändert die Verhaltensweise von Märkten spürbar. Ihr Siegeszug führt zu Verzerrungen und Übertreibungen – nach oben, aber erst recht nach unten.

Unserer Überzeugung nach wird es später im Zyklus eine Korrektur geben. Dann werden Anleger – wie immer an dieser Stelle – überrascht sein und versuchen, durch dieselbe Tür den Markt zu verlassen. Wie schon beim Crash von 2008/09 werden alle Vermögensklassen angesteckt. Angeheizt wird die Situation dieses Mal durch die lange so niedrigen Zinsen und die nun limitierten Kapazitäten der Notenbanken. Die Panik wird zusätzlich dadurch geschürt, dass viele Anleger zu diesem Zeitpunkt ähnlich allokiert sind und ähnliche Anlage- und Risikomodelle nutzen. Viele passive Investoren werden am Anfang versuchen, ihrer Strategie treu zu bleiben, Positionen zu halten oder im Rahmen des Rebalancing auszubauen. Doch nach und nach werden sie am Ende doch denken, dass es dieses Mal anders kommen könnte und kapitulieren. Verkäufe werden weitere Verkäufe anheizen. In diesem Szenario wird jeder dankbar sein, der Vertrauen zu seinem aktiven Manager hat.


Lesen Sie hier das diesem Blog zugrundeliegende Research-Paper „Eine Analyse Aktives vs Passives Investieren„.


Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich nutzen auch wir ETFs und setzen so aktive Entscheidungen passiv um. Im Family Investment Office aber haben wir uns explizit für eine wirklich aktive Vermögensveranlagung entschieden. Als verantwortungsvolle Investoren denken wir langfristig über Zyklen hinweg und bereiten uns aktuell auf Korrekturen vor, um in diesen nicht zu sehr zu verlieren / diese zu nutzen. Wenn Sie denken, dass Finanzmärkte effizient sind, dann macht ein solch aktives Investieren für Sie keinen Sinn. Nach unserem Verständnis jedoch waren schon immer zwei Gruppen von Kurstreibern gegeneinander abzuwägen: wie Märkte den Zahlen nach funktionieren sollten und wie Märkte tatsächlich funktionieren.

Menschen sind keine absolut rationalen und effizienten Informationsverarbeitungsmaschinen und Entscheider. Vermögensveranlagung ist keine exakte Wissenschaft, sie ist und bleibt Handwerk sowie Fleißarbeit. Realistische Erwartungen helfen, eine gute Lösung zu finden, mit der man gut schlafen kann. So muss jeder Anleger die richtige Lösung für sich selber finden. Ob passiv, aktiv oder eine Mischung aus beidem: Es ist extrem wichtig, dass man eine Lösung und handelnde Personen findet, denen man vertrauen kann – egal in welcher Marktphase. Anders ist es fast unmöglich, Marktschwächen als Chance zu sehen und sich auch mal antizyklisch zu positionieren. Auch schafft man es nur so langfristig sein gesamtes Vermögen zu veranlagen. Eine Lösung, bei der ein Großteil des Vermögens auf dem Girokonto bleibt, ist nicht zielführend.

Als langfristig ausgerichtete aktive Investoren, die sehr stolz darauf sind, eine enge Partnerschaft mit vielen ihrer Investoren zu haben, sehen wir der nächsten Korrektur gelassen entgegen. Mehr als das: Der entsprechende Ausleseprozess wird uns helfen.


Dieser Blog ist das Vorwort zum Research-Paper „Eine Analyse Aktives vs Passives Investieren

von Pascal Fischbach (Altrafin – Investment Research, Portfolio Management und Reporting)

Vorwort, Blog von:

Andreas Lesniewicz
(Geschäftsführer CONREN Research)


„Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“
Albert Einstein


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